Datum / Ort I
14 Mai 2022 Gare du Nord, BaselDatum / Ort II
15 Mai 2022 Gare du Nord, BaselSerie
PhoenixTitel
aus alt mach neu…Programm
Carlo Gesualdo (1566–1613) «Gagliarda del Principe di Venosa» (1586) Bearbeitung für Ensemble (2022) von Jürg Henneberger – 2’ «Canzon francese del Principe» (1586) Bearbeitung für Ensemble (2022) von Jürg Henneberger – 8’ Salvatore Sciarrino (*1947) «Il sogno di Stradella» für Klavier und Ensemble (2017) – 14’ «Gesualdo senza parole» für Ensemble (2013) – 13’ Maurizio Grandinetti (*1964) «Preludio» zu «Sonno» von Antonio Vivaldi für Flöte und Elektronik (2018) – 2’ Antonio Vivaldi (1678–1741) «Sonno» (aus «Tito Manlio», 1719) Bearbeitung für Mezzosopran und Ensemble von Maurizio Grandinetti (2018) – 3’ Tarquinio Merula (1595–1665) «Hor ch’è tempo di dormire» (aus «Curtio precipitato et altri Capricii», 1638) Bearbeitung für Mezzosopran, Flöte, Bassklarinette, Harfe und Gitarre von Maurizio Grandinetti (2018) – 6’ Alessandro Stradella (1643–1682) «Col mio Sangue comprarei» (aus «Moro per Amore», 1681) Bearbeitung für Mezzosopran, Bassflöte, Bassklarinette, Harfe und elektrische Gitarre (2018) von Maurizio Grandinetti – 7’ «Sù coronatemi» (aus «San Giovanni Battista», 1675) Bearbeitung für Mezzosopran, Flöte, Bassklarinette, Harfe und elektrische Gitarre (2018) von Maurizio Grandinetti – 3’ Lukas Langlotz (*1971) «Serpentin» für Arciorgano und Ensemble (2021, UA, Auftrag EPhB) – 23’Musiker:innen
- Maya Amir
- Mezzosopran
- Ludovic Van Hellemont
- Klavier Solo
- Johannes Keller
- Arciorgano Solo
- Jürg Henneberger
- Musikalische Leitung
- Christoph Bösch
- Flöte, Altflöte, Bassflöte
- Lorenz Eglhuber
- Oboe, Englischhorn, Oboe d’amore
- Toshiko Sakakibara
- Klarinette, Bassklarinette
- Aurélien Tschopp
- Horn
- Nenad Marković
- Trompete
- Michael Büttler
- Posaune, Altposaune
- Daniel Stalder
- Schlagzeug
- Nejc Grm
- Akkordeon
- Consuelo Giulianelli
- Harfe
- Maurizio Grandinetti
- Gitarre, E-Gitarre, Elektronik
- Friedemann Treiber
- Violine
- David Sontòn Caflisch
- Violine
- Petra Ackermann
- Viola
- Martin Jaggi
- Violoncello
- Aleksander Gabryś
- Kontrabass
Programmbeschrieb
In diesem Programm suchen wir ganz bewusst nach musikalischen Wurzeln in der Musik der Renaissance und dem Frühbarock und deren Umsetzung in heutiger Zeit. Der italienische Komponist Salvatore Sciarrino ist einer der Komponisten von heute, dessen Klangsprache eine ganz ureigene Farbe hat, die mit Sicherheit mitunter auf seine intensive Auseinandersetzung mit alter Musik fusst. Zwei seiner Werke, bei denen diese Auseinandersetzung offensichtlich wird, erklingen in diesem Programm. Das eine bezieht sich auf Carlo Gesualdo, das andere auf Alessandro Stradella.
Unser Gitarrist Maurizio Grandinetti setzte sich ebenfalls über Jahrzehnte mit alter Musik auseinander. Sein Zugang ist jedoch mehr eine Übersetzung alter Musik in unsere Zeit; musikalische Gesten und psychische Gefühlszustände, die der Musik immanent sind, werden in neuem Gewand und ungewöhnlich instrumentiert in unsere Zeit geholt, ohne den musikalischen Gehalt anzutasten – im Gegenteil.
Das Programm wird ergänzt durch einen Auftrag an den Basler Komponisten Lukas Langlotz, der sich in seiner Kompositionsweise ebenfalls ständig in fundierter Weise mit alter und ältester Musik auseinandersetzt. In seinem neuen Werk wird ein «Arciorgano» zu hören sein, eine Orgel, die nach Plänen des italienischen Komponisten Nicola Vicentino aus dem 16. Jahrhundert in Basel gebaut wurde und 31 verschiedene Tonstufen pro Oktave ermöglicht.
Zu den Arrangements:
Nikolaus Harnoncourt schrieb 1982: «Die Musik der Vergangenheit ist durch das Fortschreiten der Geschichte, durch ihre Distanz zur Gegenwart und durch die Herauslösung aus dem Kontext ihrer Zeit zu einer fremden Sprache geworden. Einzelne Aspekte eines Musikstücks mögen zwar allgemeingültig und zeitlos sein, aber die Botschaft als solche ist an eine bestimmte Zeit gebunden und kann nur wiederentdeckt werden, wenn sie gleichsam in unser heutiges Idiom übersetzt wird.»
Heutzutage gibt es ein einzigartiges musikalisches Genre, bei dem Meisterwerke der Vergangenheit neu interpretiert werden, indem alte Meisterwerke in eine mehr oder weniger zeitgenössische Sprache übertragen werden. Mit meinen Bearbeitungen habe ich die Absicht, die ursprüngliche Musik mit meiner vollen Ausdrucksfähigkeit und Intuition zu betrachten und dabei tief in den Textteil einzudringen. Zu diesem Zweck wurden die Gesangs- und Textteile fast vollständig belassen, aber mit einem neuen instrumentalen Rahmen überlagert.
Das Material der Künste hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, aber ihre künstlerischen Inhalte werden in unserer bewussten Wahrnehmung der Gegenwart erkannt. Jedes Mal, wenn wir Kunst bewerten oder Musik hören, setzt unsere aktuelle Umgebung die Maßstäbe für unsere künstlerische Wahrnehmung. Es liegt an uns zu entscheiden, wie «ursprünglich» das Objekt sein muss, um es zu erkennen. Was die Restaurierungen der Renaissance betrifft, so wissen wir, dass die Restauratoren damals die Statuen mit dem Geist ihrer eigenen Zeit verbanden und sie in eine neue Sprache übertrugen, die die für ihre Epoche typische Energie vermittelte. Der große Kunsthistoriker Cesare Brandi interpretierte die Renaissance nicht als Wiederbelebung der Antike, sondern als Verklärung universeller Konzepte, als Teil eines völlig neuen kreativen Prozesses.
Heute finden wir die Musik der Renaissance und des Vorbarocks vor allem aufgrund dessen attraktiv, was die Autoren nicht in Partituren festgehalten haben: der Teil, der der Improvisation und dem Arrangement vorbehalten ist. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Gewohnheit angenommen, dass jede Komposition nur einer Interpretation entsprach: der originalgetreuen. Nichts wurde der persönlichen Freiheit überlassen. Was würde mit der abendländischen klassischen Musik geschehen, wenn man versuchen würde, ein wenig asiatische und afrikanische Empfindsamkeiten zu nutzen, wenn man «immaterielle», symbolische, rituelle oder religiöse Werte berücksichtigen würde, anstatt sich mit ihrer historischen Authentizität zu beschäftigen?
Schließlich ist die Aufführung eines jeden alten Musikstücks eine Feier der Abwesenheit des Originals und seines Urhebers. Wir müssen uns entscheiden, ob wir diese Abwesenheit verbergen oder sie vollständig anerkennen wollen.
Maurizio Grandinetti